Presseartikel
taz NRW, 19. Mai 2006
MAREN MEIßNER über eine fragwürdige Bahnpolitik im Bergischen Land
Jürgen Seinsche ist wütend. So wütend, dass der Diplomingenieur aus
Waldbröl im Bergischen Land Emails an dutzende Zeitungs- und
Fernsehredaktionen verschickt hat, um seinem Ärger Luft zu machen. "Ich
will nicht, dass meine Enkel später sagen was müssen das für Idioten
gewesen sein, dass die die Bahn einfach kaputtkloppen", sagt er. Genau das
soll allerdings mit der Wiehltalbahn nach dem Willen der anliegenden
Kommunen Engelskirchen, Wiehl, Reichshof, Waldbröl und Morsbach geschehen.
"Das muss man mal öffentlich machen!", sagt Seinsche, der sich in den
letzten Monaten intensiv mit der drohenden Bahnschließung und ihren Folgen
beschäftigt hat.
Im Jahr 1994 hatte sich die Deutsche Bahn (DB) entschlossen, den
Schienengüterverkehr auf der Strecke Osberghausen - Wiehl -
Waldbröl/Morsbach stillzulegen. Um die Strecke vor dem Ausverkauf zu
schützen, wurde der "Förderkreis zur Rettung der Wiehltalbahn" ins Leben
gerufen. Dieser pachtete die Strecke - mit großem Erfolg. Durch eine
Kooperation mit der Rhein-Sieg-Eisenbahn konnte die Strecke 1999 wieder in
Betrieb genommen werden, diesmal für touristische Zwecke. Bis heute fährt
einmal im Monat ein Dampfzug durchs Wiehltal, Sonderveranstaltungen locken
zusätzliche Besucher an. Über 280 Mal rollten im vergangenen Jahr Züge
durchs Bergische Land. Seit Mai 2005 auch wieder Güterzüge, die vor allem
Holz für lokale Betriebe transportieren.
Eine positive Entwicklung, die der Verein gerne weiter vorangetrieben
hätte. "Ein Gutachten belegt, dass auch der reguläre Personenverkehr gute
Chancen hätte", sagt Gerhard Mansel, Vorsitzender des Förderkreises. Die
Verkaufsgespräche mit der DB waren schon in vollem Gang, als im
vergangenen Jahr die CDU die Landtagswahl gewann und Verkehrsminister
Oliver Wittke (CDU) eine Wende in der Verkehrspolitik versprach - und
sogleich die Wiehltalbahn aus dem Schienenbedarfsplan strich.
Der Kölner Regionalrat empfahl darauf die Schließung der Strecke; die
Industrie- und Handelskammer Köln jubelte: "Endlich können Planungs- und
Investitionshemmnisse aus dem Weg geräumt werden". Was für die DB
bedeutete, dass sie nun nicht mehr mit dem Förderverein, sondern mit den
anliegenden Kommunen verhandeln konnte. Die wollen die Bahn nun kaufen und
dann schließen. Mit dem Ziel, die freien Flächen teilweise an
ortsansässige Firmen zu verkaufen, sowie eigene Straßenbauprojekte zu
realisieren.
Dabei ist keinesfalls sicher, dass die Bahnschienen überhaupt abgebaut
werden dürfen. Denn dazu müssten sie erst entwidmet werden - und dies kann
nur geschehen, wenn sicher ist, dass auf der Strecke keine Züge fahren und
fahren werden. "Unser Ziel ist es, den Betrieb so lang wie möglich
aufrecht zu erhalten", sagt deshalb Vereinsvorsitzender Mansel. Warum die
Kommunen das Risiko eingehen, eine Strecke zu kaufen, die womöglich gar
nicht stillgelegt werden kann, versteht Jürgen Seinsche nicht. "Wir leben
im Mittelgebirge, da ist der Horizont nicht so weit", vermutet er.
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