Weichen werden neu
gestellt
Die Wiehltalbahn bleibt bestehen - Nun geht es darum, sie zu entwickeln
Die Kommunen strecken die
Waffen und akzeptierten das Urteil im Wiehltalbahn-Streit. Nun müssen
Lösungen und finanzielle Mittel für die Zukunft mit Gleisen und
Bahnverkehr gefunden werden.
REINER THIES
OBERBERG. Einen Tag lang hat
es gedauert, bis alle die überraschende Nachricht verdaut hatten, die
sie aus unserer Zeitung erfahren durften: Der Rechtsstreit um die
Wiehltalbahn geht nicht in die Verlängerung. Gestern schlossen sich auch
die Bürgermeister von Wiehl und Reichshof der Kapitulation der
Bezirksregierung an.
Reichshofs Bürgermeister
Gregor Rolland will zunächst auf die schriftliche Stellungnahme der
Bezirksregierung warten, "und dann werden wir uns dem
Widerspruchs-Verzicht anschließen". Reichshof sei von der Existenz der
Wiehltalbahn nicht so "hart tangiert" wie Waldbröl und Wiehl, aber aus
Solidarität habe man sich an den Klagen beteiligt.
Ohne die Bezirksregierung an
ihrer Seite will sich auch Wiehls Rathauschef Werner Becker-Blonigen
keine blutige Nase holen. "Ich sehe für einen eigenen Antrag auf
Berufung keine Basis, wenn die Bezirksregierung ihre eigene Verfügung
aufgibt und selbst das Unterfangen nicht weiter betreiben will." Die
Bezirksregierung habe mit ihren Statistiken und ihrem Verweis auf den
Gesamtverkehrsplan keinen Erfolg gehabt - "was sollen wir denn dann noch
vortragen?" Der mit einem eigenen Antrag verbundene Aufwand hätte in
keinem vertretbaren Verhältnis gestanden: "Bisher war der Rechtsstreit
eine normale Geschichte, doch nun würde es ins Geld gehen."
Die Kritik an den bisherigen
Verfahrenskosten kann Becker-Blonigen nicht nachvollziehen. Solch ein
Verfahren sei sinnvoll, um Rechtsfragen zu klären. "Dafür sind Gerichte
da." Insofern halte er die Gerichtsentscheidung für positiv, auch wenn
sie nicht in seinem Sinne ausgefallen ist.
Tatsächlich hätte der
Bürgermeister es für sinnvoll gehalten, dass Landes- und
Bezirksregierung den Streit weiter ausfechten, um höchstrichterliche
Gewissheit zu bekommen. Becker-Blonigen ist deshalb verärgert über den
Rückzieher. Aber eine kritische Note an die Bezirksregierung wird es aus
Wiehl nicht geben: "Für Hundegebell bin ich mir zu schade."
Die Wiehler Verwaltung wird
nun das Gespräch mit der Rhein-Sieg-Eisenbahn (RSE) suchen, die im
Auftrag des "Förderkreises zur Rettung der Wiehltalbahn" den
Schienenverkehr betreibt. Die weit gediehenen Pläne für eine
Straßenquerung am Wiehler Bahnhof kommen zu neuen Ehren. Die RSE hatte
der Stadt 2006 Pläne für einen Bahnübergang vorgelegt, der 415 000 Euro
kosten sollte. 65 Prozent davon sollte das Land zuschießen. Der Auftritt
von Verkehrsminister Oliver Wittke im September 2006 machte dieses
Projekt zunichte. Anlässlich der Einweihung des Kreisverkehrs am Bahnhof
gab der Minister der Bahn so wenig Zukunft, dass er sogar den Bau eines
Bahnübergangs für nicht mehr nötig hielt: "Es wäre ein Treppenwitz der
Stadtgeschichte, dabei noch viel Geld zu verbauen."
Dieser "Treppenwitz" wird
nun Realität. Und darum halten es die Wiehler nur für konsequent, dass
die Landesregierung die Zuschüsse überweist.
Der SPD-Landtagsabgeordnete
Gero Karthaus hat sich gestern noch einmal als Moderator angeboten. Es
gehe jetzt darum, dass sich die politisch Verantwortlichen rasch mit den
Freunden der Wiehltalbahn zusammensetzen, um die Bahn gemeinsam für eine
Attraktivierung Oberbergs zu nutzen. "Die Ehrenamtler, die sich bislang
so engagiert für den Erhalt der Wiehltalbahn eingesetzt haben, haben
meine volle Sympathie."
Karthaus kann sich zum
Beispiel eine Anbindung nach Gummersbach vorstellen, wo die Wiehltalbahn
als "EKZ-Express" Oberberger zum Shopping bringen würde. Das Ziel, den
Bahntakt von Gummersbach nach Köln zu beschleunigen, stehe hierzu nicht
im Widerspruch. "Die Wiehltalbahn kann durchaus auch Passagiere zum
Bahnhof Gummersbach bringen." Die örtliche Politik müsse nun auch rasch
die durch das Konjunkturpaket möglichen Fördermittel des Bundes
beantragen. Denn hier würden zurzeit Milliarden in die Infrastruktur
investiert.
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MORSBACHER REAKTION
Auch die Gemeinde Morsbach
wird ihren Widerspruch gegen das Bahnurteil, den Bürgermeister Raimund
Reuber vorsorglich beim Verwaltungsgericht eingereicht hatte, vermutlich
zurückziehen.
Wenn die Bezirksregierung
als "handelnde Behörde" keine weiteren Rechtsmittel ausschöpfe, dann
werde das sicherlich auch keine Kommune im Alleingang versuchen. "Wir
müssen das Ganze noch einmal genau prüfen", sagte er gestern auf
Anfrage, "denn in Morsbach ist die Sache etwas anders gelagert als in
Wiehl, Waldbröl und Reichshof". Schließlich sei die Strecke von
Hermesdorf nach Morsbach nicht befahrbar, die Viadukte seien baufällig
und stellten eine Gefahr dar. "Deswegen haben wir bei Kömpel eine
Barriere aufgestellt." (mf)
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INTERVIEW
Wir freuen uns auf
konstruktive Gespräche
Gerhard Mansel ist Vorsitzender des Förderkreises zur Rettung der
Wiehltalbahn. Reiner Thies sprach mit ihm über die Konsequenzen aus dem
Rückzug der Bezirksregierung.
Haben Sie mit dieser
Entscheidung gerechnet?
Das war für mich schon eine große
Überraschung. Die Rechtslage war allerdings eindeutig. Daran hätte sich
auch die Bezirksregierung halten müssen, als Quittung hat sie nun eine
Lektion bekommen. Ich will die Kommunen nicht in Schutz nehmen, aber das
Land hat von Anfang an die falschen Signale gegeben.
Nun wird Ihnen
vorgeworfen, dass die Wiehltalbahn oberbergische Industriebetriebe in
ihrer Entwicklung behindert.
Die Firmen mussten mit ihren
Arbeitsplätzen herhalten, weil es sonst keine Argumente für die
Stilllegung gab. Kind und Co. hat in Bielstein gerade eine neue
Produktionshalle in Betrieb genommen. Die denken doch nicht im Traum
dran, in absehbarer Zeit das Gelände hinter der Bahn zu nutzen.
Wie geht es jetzt weiter?
Wir freuen uns auf konstruktive
Gespräche. Wir haben nun eine verlässliche Perspektive für potenzielle
Unterstützer, die bisher von dem laufenden Rechtsstreit abgeschreckt
wurden. Durch die Prozesslawine ist die Sanierung der Strecke im
vergangenen Jahr nicht vorangekommen wie erhofft. Die Sanierung der
Brücke im Reichshof kostet Geld, in Brüchermühle müssen wir einen
Bahnsteig bauen. Die Querung am Wiehler Bahnhof stellt für uns kein
Problem dar, sie könnte noch in diesem Jahr realisiert werden.
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KOMMENTAR
Neue Chance
von REINER THIES zur Wiehltalbahn
Es ist schon bedenklich,
dass die Heerschar der Juristen von Ministerium und Bezirksregierung
nicht vorhersehen konnte, dass die Gerichte im Eisenbahnrecht keinen
Spielraum für eine Abschaffung der Wiehltalstrecke auf dem kurzen
Dienstweg sehen würden. Wenn es nun nachträglich zu einer
Gesetzesänderung kommt, wird das im Wiehltal keine Konsequenzen haben,
denn die Gleise genießen Bestandsschutz.
Erfreulich wäre es jetzt,
wenn sich beide Seiten ungeachtet aller auch persönlicher Anfeindungen
zusammenraufen. Zahlreiche Probleme müssen an und auf der Strecke gelöst
werden. Die Bahn ist Realität, nun sollte sie vom Zankapfel zur Chance
werden, und sei es nur für die touristische Entwicklung des Südkreises.