Posse auf dem Nebengleis
Fünf Kommunen in NORDRHEIN-WESTFALEN ist nichts zu teuer, um eine kleine
Eisenbahnlinie stillzulegen
VON EVA-MARIA THOMS
Waldbröl. Ein Vierteljahr
lang schon rollten die Holzzüge durchs Wiehltal, um dreimal in der Woche
wegzuschaffen, was der Orkan Kyrill Anfang dieses Jahres hinterlassen
hatte: tonnenweise Bruchholz. Doch eines Morgens standen die Arbeiter
ratlos da. Felsbrocken blockierten die Ladestraße zum Gleis. Der Wiehler
Bürgermeister Werner Becker-Blonigen, hauptberuflich Geschäftsführer
eines anliegenden Wohn- und Gewerbeparks, hatte sie dort platzieren
lassen. Er fühlte sich gestört, »weil hier plötzlich Holz verladen
wird«.
Sechs Tage und eine
einstweilige Verfügung des Landgerichts Köln später mussten die Steine
wieder weg. Doch der Kampf der Bürgermeister von Wiehl, Reichshof und
Waldbröl gegen die Wiehltalbahn geht weiter.
Gestritten wird um 23,6
Kilometer Gleis mit dem amtlichen Namen »Strecke 2680« von Reichshof
nach Waldbröl. Seit 1965 verkehren hier keine Personenzüge mehr, 1994
hatte die Deutsche Bahn den Güterverkehr eingestellt. Eine
Bürgerinitiative kümmert sich seitdem um die Erhaltung der Strecke.
Zusammen mit der Rhein-Sieg-Eisenbahn organisiert sie an den Wochenenden
mit historischen Loks Fahrten für Touristen. Seit dem vergangenen Jahr
rollen wieder Gütertransporte privater Bahnfirmen über die Gleise.
Jahrelang nahmen die Städte
kaum Notiz vom Treiben auf der alten Bahnstrecke. Bis die Bahn AG im
vergangenen Jahr das Grundstück zum Verkauf anbot. Damit wurde die Sache
zum Politikum. Der Förderkreis zur Rettung der Wiehltalbahn ging daran,
ein Unternehmen zu gründen, um die Strecke in Zukunft rentabel zu
bewirtschaften. Die Städte aber wollten plötzlich erkannt haben, dass
das längst vergessene Gleis allerorten privaten und öffentlichen
Investitionen im Weg steht – vor allem Straßenbauprojekten. Zusammen
kauften sie der Bahn AG die Strecke für eine Million Euro ab. Der völlig
verschuldeten Stadt Waldbröl war die Angelegenheit so wichtig, dass sie
sich über die Sparauflagen der Bezirksregierung hinwegsetzte. Sie nahm
ohne Genehmigung einen Kredit über 430 000 Euro beim Landesbetrieb
Straßenbau auf, um den Kaufpreis zahlen zu können. Die Sache ist
inzwischen im nordrhein-westfälischen Landtag behandelt worden. Doch
Innenminister Ingo Wolf will von »kommunalaufsichtlichen Maßnahmen«
gegen die Stadt Waldbröl zunächst absehen.
Währenddessen eskaliert im
Oberbergischen der Streit zwischen der Bürgerinitiative und den
Kommunalpolitikern. Erstere will die Wiehltalbahn wieder ins öffentliche
Nahverkehrssystem eingliedern. Letztere halten die Bahnfreunde für einen
Haufen von Dampflok-Nostalgikern – und kündigten unmittelbar nach dem
Kauf der Wiehltalbahn den Mietvertrag. Worauf die Eisenbahner vor dem
Verwaltungsgericht Köln eine längerfristige Betriebsgenehmigung
erstritten. Was die Städte wiederum veranlasste, bei der
Bezirksregierung Köln die endgültige Entwidmung der Bahnstrecke zu
beantragen, die ihnen für ein Teilstück inzwischen gewährt wurde.
Rechtskräftig ist bisher kein Urteil und kein Bescheid.
Die Stadtväter haben nun
ihrerseits härtere Bandagen angelegt und wollen die Geschäftsführer des
Wiehltalbahn-Vereins und der Rhein-Sieg-Eisenbahn persönlich in Haftung
nehmen. Ende Oktober sind drei Zivilklagen gegen den Förderkreis zur
Rettung der Wiehltalbahn und gegen die Rhein-Sieg-Eisenbahn GmbH
eingegangen: Wahlweise 250 000 Euro Geldstrafe oder sechs Monate Haft
fordern die Kläger, wenn die Beklagten den Bahnverkehr nicht einstellen
und die Grundstücke nicht herausgeben. Den Einwand, dass dieses
juristische Geschütz nun wirklich überzogen ist, können die
Bürgermeister nicht verstehen. »Unsere Rechtsanwälte haben uns dazu
geraten«, sagt Gregor Rolland, Bürgermeister von Reichshof.
Der Geschäftsführer der
Rhein-Sieg-Eisenbahn, Rainer Bohnet, gibt sich kämpferisch. »Wir sind
fest entschlossen, uns bis zur letzten Instanz durchzufechten«, betont
er. Inzwischen weiß er auch den Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV)
an seiner Seite. »Der Versuch, eine Bahnstrecke bei laufendem Betrieb zu
entwidmen, ist bundesweit einmalig«, sagt VDV-Vizepräsident Horst Klein.
»Dann könnten demnächst auch andere Bahntrassen nach politischem
Gutdünken stillgelegt werden.«