Presseartikel

DIE ZEIT, 19. Dezember 2007

Posse auf dem Nebengleis
Fünf Kommunen in NORDRHEIN-WESTFALEN ist nichts zu teuer, um eine kleine Eisenbahnlinie stillzulegen

VON EVA-MARIA THOMS

Waldbröl. Ein Vierteljahr lang schon rollten die Holzzüge durchs Wiehltal, um dreimal in der Woche wegzuschaffen, was der Orkan Kyrill Anfang dieses Jahres hinterlassen hatte: tonnenweise Bruchholz. Doch eines Morgens standen die Arbeiter ratlos da. Felsbrocken blockierten die Ladestraße zum Gleis. Der Wiehler Bürgermeister Werner Becker-Blonigen, hauptberuflich Geschäftsführer eines anliegenden Wohn- und Gewerbeparks, hatte sie dort platzieren lassen. Er fühlte sich gestört, »weil hier plötzlich Holz verladen wird«.

Sechs Tage und eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Köln später mussten die Steine wieder weg. Doch der Kampf der Bürgermeister von Wiehl, Reichshof und Waldbröl gegen die Wiehltalbahn geht weiter.

Gestritten wird um 23,6 Kilometer Gleis mit dem amtlichen Namen »Strecke 2680« von Reichshof nach Waldbröl. Seit 1965 verkehren hier keine Personenzüge mehr, 1994 hatte die Deutsche Bahn den Güterverkehr eingestellt. Eine Bürgerinitiative kümmert sich seitdem um die Erhaltung der Strecke. Zusammen mit der Rhein-Sieg-Eisenbahn organisiert sie an den Wochenenden mit historischen Loks Fahrten für Touristen. Seit dem vergangenen Jahr rollen wieder Gütertransporte privater Bahnfirmen über die Gleise.

Jahrelang nahmen die Städte kaum Notiz vom Treiben auf der alten Bahnstrecke. Bis die Bahn AG im vergangenen Jahr das Grundstück zum Verkauf anbot. Damit wurde die Sache zum Politikum. Der Förderkreis zur Rettung der Wiehltalbahn ging daran, ein Unternehmen zu gründen, um die Strecke in Zukunft rentabel zu bewirtschaften. Die Städte aber wollten plötzlich erkannt haben, dass das längst vergessene Gleis allerorten privaten und öffentlichen Investitionen im Weg steht – vor allem Straßenbauprojekten. Zusammen kauften sie der Bahn AG die Strecke für eine Million Euro ab. Der völlig verschuldeten Stadt Waldbröl war die Angelegenheit so wichtig, dass sie sich über die Sparauflagen der Bezirksregierung hinwegsetzte. Sie nahm ohne Genehmigung einen Kredit über 430 000 Euro beim Landesbetrieb Straßenbau auf, um den Kaufpreis zahlen zu können. Die Sache ist inzwischen im nordrhein-westfälischen Landtag behandelt worden. Doch Innenminister Ingo Wolf will von »kommunalaufsichtlichen Maßnahmen« gegen die Stadt Waldbröl zunächst absehen.

Währenddessen eskaliert im Oberbergischen der Streit zwischen der Bürgerinitiative und den Kommunalpolitikern. Erstere will die Wiehltalbahn wieder ins öffentliche Nahverkehrssystem eingliedern. Letztere halten die Bahnfreunde für einen Haufen von Dampflok-Nostalgikern – und kündigten unmittelbar nach dem Kauf der Wiehltalbahn den Mietvertrag. Worauf die Eisenbahner vor dem Verwaltungsgericht Köln eine längerfristige Betriebsgenehmigung erstritten. Was die Städte wiederum veranlasste, bei der Bezirksregierung Köln die endgültige Entwidmung der Bahnstrecke zu beantragen, die ihnen für ein Teilstück inzwischen gewährt wurde. Rechtskräftig ist bisher kein Urteil und kein Bescheid.

Die Stadtväter haben nun ihrerseits härtere Bandagen angelegt und wollen die Geschäftsführer des Wiehltalbahn-Vereins und der Rhein-Sieg-Eisenbahn persönlich in Haftung nehmen. Ende Oktober sind drei Zivilklagen gegen den Förderkreis zur Rettung der Wiehltalbahn und gegen die Rhein-Sieg-Eisenbahn GmbH eingegangen: Wahlweise 250 000 Euro Geldstrafe oder sechs Monate Haft fordern die Kläger, wenn die Beklagten den Bahnverkehr nicht einstellen und die Grundstücke nicht herausgeben. Den Einwand, dass dieses juristische Geschütz nun wirklich überzogen ist, können die Bürgermeister nicht verstehen. »Unsere Rechtsanwälte haben uns dazu geraten«, sagt Gregor Rolland, Bürgermeister von Reichshof.

Der Geschäftsführer der Rhein-Sieg-Eisenbahn, Rainer Bohnet, gibt sich kämpferisch. »Wir sind fest entschlossen, uns bis zur letzten Instanz durchzufechten«, betont er. Inzwischen weiß er auch den Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) an seiner Seite. »Der Versuch, eine Bahnstrecke bei laufendem Betrieb zu entwidmen, ist bundesweit einmalig«, sagt VDV-Vizepräsident Horst Klein. »Dann könnten demnächst auch andere Bahntrassen nach politischem Gutdünken stillgelegt werden.«