Mit dem Tod leben müssen
Zug der Erinnerung macht am Bahnhof Wiehl Station
von MARKUS MICHALAK
AUS DEM KREIS. Inge ist
sieben Jahre alt, als sie plötzlich einen Davidstern an der Jacke tragen
muss. In die Schule darf sie auch nicht mehr. Am 17. September 1942 wird
sie dann mit dem Zug nach Theresienstadt deportiert. Sie kehrt nie mehr
zurück.
Inge Katzmann ist eines der Kinder, deren Schicksal im "Zug der
Erinnerung" dokumentiert wird, um auf die Deportationen von Kindern und
Jugendlichen im Nationalsozialismus aufmerksam zu machen. Jedes Fenster
und jedes Abteil der mobilen Ausstellung zeigt ein persönliches Beispiel
für die schrecklichen Verbrechen des NS-Regimes.
"Aber die Waggons stammen aus den 60ern", erklärt Anne Berghoff den
vielen Schülern, die gestern aus ganz Oberberg zur Eröffnung am Bahnhof
Wiehl kamen. Auch die Dampflok von 1919 habe nie an Deportationen
teilgenommen. "Wir wollten die Deportationen ja nicht nachspielen. Das
kann man gar nicht."
Was die Ausstellung den Schülern vermittelt, geht nahe. Denn viele der
Opfer waren damals genau im selben Teenager-Alter.
Neben den Biographien lässt die Ausstellung in einem Video auch
Vertreter der Deutschen Reichsbahn zu Wort kommen, die damals die
Transporte organisierten. Tenor: Niemand will etwas von den
schrecklichen Hinrichtungen in den Konzentrationslagern gewusst haben.
Im letzten Waggon der Ausstellung hat Gerhard Pomykaj die oberbergische
Judenverfolgung im Dritten Reich dokumentiert. "Von Oberberg aus gab es
keine Deportationen von Kindern und Jugendlichen", erklärt er. "Aber das
ist reiner Zufall", fügt er hinzu. "Denn es gab zu der Zeit kaum noch
jüdische Familien in Oberberg. Die meisten waren in die vermeintlich
sichereren Großstädte geflüchtet." Die Geschichte von Rudi Löwenstein
und von den Simons aus Gummersbach ist im letzten Waggon nachzulesen.
Auch Maike Schäfers (14) hat ein Plakat mitgebracht, auf dem die Nichte
von Rudi Löwenstein als Zeitzeugin zu Wort kommt. "Unsere Lehrerin hat
den Kontakt hergestellt, und Mary Beer hat sich total gefreut", erklärt
die Siebtklässlerin aus Alzen.
Zur Eröffnung kamen gestern Interessierte aus Politik, Weiterbildung und
Kultur sowie Landrat Hagen Jobi, Wiehls Bürgermeister Werner
Becker-Blonigen, und Holger Banse, Vorsitzender der Oberbergischen
Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Banse dankte den
zahlreichen Unterstützern, die den "Zug der Erinnerung" in Wiehl erst
möglich gemacht haben. Wilfried Hahn, der sich im Vorfeld sehr für die
Ausstellung engagiert hat, dankte allen Spendern: "Die Bahn verlangt
Schienengebühren für den Zug. Deshalb brauchen wir rund 4000 Euro." Er
sei aber überall nur auf Unterstützung gestoßen, so dass das Projekt
finanziert ist. Landrat Jobi zitierte eine jüdische Dichterin: "Den
eigenen Tod, den stirbt man nur, doch mit dem Tod der anderen muss man
leben."
Die Ausstellung kann heute bis 18 Uhr besucht werden. Um 15 Uhr gibt es
eine szenische Lesung des WK Theaters am Zug.
ZUG DER ERINNERUNG
Wiehl ist die 32. Station auf der Reise des Zuges der Erinnerung durch
Deutschland - und eine der ganz wenigen Kleinstädte, in denen der Zug
Halt macht. Er wird durch Bürgerinitiativen und private Spenden
unterstützt, und schon mehr als 100 000 Menschen haben die Ausstellung
zur Deportation von Kindern und Jugendlichen in die Konzentrationslager
besucht. Was nicht nur die Initiatoren empört: Die Deutsche Bahn
verlangt Schienengebühren für die Ausstellung, so dass bei jeder Station
mehrere tausend Euro zu entrichten sind. Endstation der Reise ist am 8.
Mai - dem Enddatum des Zweiten Weltkriegs - die Gedenkstätte Auschwitz.
(mm)