Presseartikel

Oberbergische Volkszeitung, 8. März 2008:

Mit dem Tod leben müssen
Zug der Erinnerung macht am Bahnhof Wiehl Station

von MARKUS MICHALAK

AUS DEM KREIS. Inge ist sieben Jahre alt, als sie plötzlich einen Davidstern an der Jacke tragen muss. In die Schule darf sie auch nicht mehr. Am 17. September 1942 wird sie dann mit dem Zug nach Theresienstadt deportiert. Sie kehrt nie mehr zurück.
Inge Katzmann ist eines der Kinder, deren Schicksal im "Zug der Erinnerung" dokumentiert wird, um auf die Deportationen von Kindern und Jugendlichen im Nationalsozialismus aufmerksam zu machen. Jedes Fenster und jedes Abteil der mobilen Ausstellung zeigt ein persönliches Beispiel für die schrecklichen Verbrechen des NS-Regimes.
"Aber die Waggons stammen aus den 60ern", erklärt Anne Berghoff den vielen Schülern, die gestern aus ganz Oberberg zur Eröffnung am Bahnhof Wiehl kamen. Auch die Dampflok von 1919 habe nie an Deportationen teilgenommen. "Wir wollten die Deportationen ja nicht nachspielen. Das kann man gar nicht."
Was die Ausstellung den Schülern vermittelt, geht nahe. Denn viele der Opfer waren damals genau im selben Teenager-Alter.
Neben den Biographien lässt die Ausstellung in einem Video auch Vertreter der Deutschen Reichsbahn zu Wort kommen, die damals die Transporte organisierten. Tenor: Niemand will etwas von den schrecklichen Hinrichtungen in den Konzentrationslagern gewusst haben.
Im letzten Waggon der Ausstellung hat Gerhard Pomykaj die oberbergische Judenverfolgung im Dritten Reich dokumentiert. "Von Oberberg aus gab es keine Deportationen von Kindern und Jugendlichen", erklärt er. "Aber das ist reiner Zufall", fügt er hinzu. "Denn es gab zu der Zeit kaum noch jüdische Familien in Oberberg. Die meisten waren in die vermeintlich sichereren Großstädte geflüchtet." Die Geschichte von Rudi Löwenstein und von den Simons aus Gummersbach ist im letzten Waggon nachzulesen.
Auch Maike Schäfers (14) hat ein Plakat mitgebracht, auf dem die Nichte von Rudi Löwenstein als Zeitzeugin zu Wort kommt. "Unsere Lehrerin hat den Kontakt hergestellt, und Mary Beer hat sich total gefreut", erklärt die Siebtklässlerin aus Alzen.
Zur Eröffnung kamen gestern Interessierte aus Politik, Weiterbildung und Kultur sowie Landrat Hagen Jobi, Wiehls Bürgermeister Werner Becker-Blonigen, und Holger Banse, Vorsitzender der Oberbergischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Banse dankte den zahlreichen Unterstützern, die den "Zug der Erinnerung" in Wiehl erst möglich gemacht haben. Wilfried Hahn, der sich im Vorfeld sehr für die Ausstellung engagiert hat, dankte allen Spendern: "Die Bahn verlangt Schienengebühren für den Zug. Deshalb brauchen wir rund 4000 Euro." Er sei aber überall nur auf Unterstützung gestoßen, so dass das Projekt finanziert ist. Landrat Jobi zitierte eine jüdische Dichterin: "Den eigenen Tod, den stirbt man nur, doch mit dem Tod der anderen muss man leben."
Die Ausstellung kann heute bis 18 Uhr besucht werden. Um 15 Uhr gibt es eine szenische Lesung des WK Theaters am Zug.

ZUG DER ERINNERUNG
Wiehl ist die 32. Station auf der Reise des Zuges der Erinnerung durch Deutschland - und eine der ganz wenigen Kleinstädte, in denen der Zug Halt macht. Er wird durch Bürgerinitiativen und private Spenden unterstützt, und schon mehr als 100 000 Menschen haben die Ausstellung zur Deportation von Kindern und Jugendlichen in die Konzentrationslager besucht. Was nicht nur die Initiatoren empört: Die Deutsche Bahn verlangt Schienengebühren für die Ausstellung, so dass bei jeder Station mehrere tausend Euro zu entrichten sind. Endstation der Reise ist am 8. Mai - dem Enddatum des Zweiten Weltkriegs - die Gedenkstätte Auschwitz. (mm)