Presseartikel

Kölner Stadtanzeiger, 10. Juli 2007 (überregionaler Teil):

Am Bahngleis scheiden sich die Geister
VON STEPHAN PROPACH

Oberbergischer Kreis - Es ist eine Auseinandersetzung zwischen ungleichen Gegnern. Im Oberbergischen haben sich ehrenamtliche Eisenbahner vor zehn Jahren daran gemacht, die inzwischen über 100 Jahre alte Wiehltalbahn zu reaktivieren. Entgegen steht ihnen die politische Übermacht der CDU-geführten Land-, Kreis- und Gemeindeparlamente. Die Anrainergemeinden haben die Strecke von der Deutschen Bahn gekauft, um die Gleise lieber heute als morgen zu demontieren und die über 30 Kilometer lange Trasse aufzugeben.

Die Eisenbahner betreiben - zurzeit noch auf einem Teilstück - Tourismusfahrten. Der 1994 gegründete Förderkreis zur Rettung der Wiehltalbahn wollte die Strecke zunächst nur vor dem Abbau bewahrten und als eine Möglichkeit für Güter- und Personennahverkehr erhalten. Seit 1998 ist der Förderkreis Pächter der Anlagen, und nach zahllosen ehrenamtlichen Arbeitsstunden fahren seit 1999 wieder Züge. Mit dem Kooperationspartner des Vereins, dem Eisenbahnverkehrs- und Infrastrukturunternehmen Rhein-Sieg-Eisenbahn GmbH mit Sitz in Bonn, wird ein regelmäßiger Tourismusbetrieb an Wochenenden gewährleistet.

Daneben gibt es in Zusammenarbeit mit dem Eisenbahnmuseum Gummersbach-Dieringhausen Dampflokfahrten oder Kurse für den Dampflokführerschein, die schon tausende Touristen in den Kreis gelockt haben. Mit dem eigenen Triebwagen organisiert der Verein Fahrten in die Region. Außerdem fährt die Wiehltalbahn auf Bestellung.

Unerwarteten Aufschwung hat neuerdings der Güterverkehr erfahren. Seit dem Orkan „Kyrill“ fahren dreimal pro Woche acht Waggons etwa 1200 Festmeter Sturmholz aus dem Oberbergischen über Köln-Eifeltor nachts nach Süddeutschland. 50 Lastwagenladungen pro Woche würden so transportiert, schätzt der Vorsitzende der Wiehltalbahn, Gerhard Mansel. Er möchte fahrplanmäßigen Güterverkehr für Firmen an der Strecke anbieten.

Das ist den christdemokratischen Mehrheiten in den Stadt- und Gemeinderäten an der Strecke ein Dorn im Auge. Ihr Argument: Die Bahn stört die Industrie in ihrer Entwicklung und gefährdet so Arbeitsplätze. Die Stadt Wiehl will außerdem eine Straße über die Gleise bauen, um einen erst 2006 eröffneten Verbrauchermarkt mit der Innenstadt zu verbinden. Nachdem in Verhandlungen mit der Wiehltalbahn immer wieder Kompromisse ausgehandelt worden sind, setzt Wiehl jetzt auf den endgültigen Abriss der Gleise.

In Waldbröl ist ein Kreisverkehr der Knackpunkt. Unmittelbar über der Bahnstrecke soll er einen Verkehrsknoten entschärfen. Das Rezept des Stadtrates: Die Gleise abreißen und die Strecke zuschütten. Das, so Bürgermeister Christoph Waffenschmidt, spare 1,5 Millionen Euro. Früher war von einem Drittel der Summe geredet worden. Waffenschmidt sieht wie seine Kollegen keine Zukunft für die Wiehltalbahn. Tourismusfahrten seien reiner Selbstzweck, und Verkehrsströme in die Kreismitte gebe es nicht. Unterstützt werden die Bürgermeister von NRW-Verkehrsminister Oliver Wittke (ebenfalls CDU). Er gibt der Bahn im Wiehltal keine Chance und will erst dann Gelder in die Straßenbauten stecken, wenn die Gleise verschwunden sind.

Um ihre Forderung nach Stilllegung, Entwidmung und Abriss der Bahnanlagen zu unterstreichen, haben die Kommunen Wiehl, Reichshof, Waldbröl und Morsbach die Bahngleise zum 1. März 2007 für 1,07 Millionen Euro von der Deutschen Bahn gekauft. Das sei immerhin ein Drittel mehr als sein Verein bereits mit der Bahn ausgehandelt hatte, kommentiert Gerhard Mansel. Um ihren Anteil zu finanzieren, hat die hoch verschuldete Stadt Waldbröl sogar 450 000 Euro vom Landesbetrieb Straßen NRW geliehen, der auch den Kreisverkehr bauen soll.

Dass der Kauf nicht ohne Risiko ist, belegt eine Vereinbarung der Kommunen. Sollte die Strecke nicht wunschgemäß entwidmet werden, stehen 600 000 Euro für die Instandsetzung und 60 000 Euro für die jährliche Unterhaltung an.

Diese Kosten werden auf die Kommunen zukommen, ist der Kölner Professor Hans-Jürgen Kühlwetter sicher. Der Jurist ist auf Eisenbahnrecht spezialisiert, hat seit 1969 für die Deutsche Bahn gearbeitet und zuletzt die Rechtsabteilung des Eisenbahnbundesamtes geleitet. Für Bahnstrecken gelte öffentliches Recht und das lasse eine Entwidmung der Bahnstrecke nur zu, wenn dort kein „öffentliches Bedürfnis“ mehr für einen Verkehr bestehe. Der Fahrplan der Wiehltalbahn, der Güterverkehr und Prognosen für einen erfolgreichen öffentlichen Personennahverkehr belegten aber das Gegenteil. Mehr noch: Die Wiehltalbahner könnten jetzt sogar die neuen Eigentümer verpflichten, die Strecke verkehrssicher herzustellen. Dazu sei die Deutsche Bahn als Eigentümer andernorts von Gerichten verpflichtet worden.

Für das Gerangel um die Wiehltalbahn hat Kühlwetter wenig Verständnis: Die Gegner der Bahn in Politik und Industrie „handeln angesichts der Energie- und CO-Debatte kurzfristig und wären in einigen Jahren wahrscheinlich froh, einen alternativen Transportweg zu haben, welchen sie jetzt aus kurzfristigen Überlegungen mit hohen Kosten für die Bürger aus Steuergeldern beseitigen möchten.“

Den Rechtsweg scheuen die Wiehltalbahner durchaus nicht. Im Februar gingen sie aus einem Streit um eine dauerhafte Betriebsgenehmigung als Sieger über das Land hervor. Statt Genehmigungen auf jeweils einen Monat zu befristen, müsse NRW diese für 30 bis 50 Jahre aussprechen, meinte das Kölner Verwaltungsgericht. Während das Land Revision einlegte, wurden die Kommunen aktiv: Just am Tag der Besitzumschreibung sperrte die Gemeinde Reichshof eine Brücke. Der Landesbetrieb Straßen NRW habe festgestellt, dass sie nicht mehr sicher sei, hieß es. Die Wiehltalbahner haben angekündigt, den Beschluss zu ignorieren und bei Bedarf trotzdem zu fahren. Denn der Betreiber sei zuständig, nicht der Eigentümer.