Presseartikel

Eisenbahn-Revue International 3/2006

Die „betreiberlose“ Eisenbahninfrastruktur

Eine neue Methode, Eisenbahninfrastruktur „loszuwerden“?


Prof. Dr. H. J. Kühlwetter

Einleitung
Zu Zeiten der Behörden - DB als „Einheitseisenbahn“, Infrastruktur und Betrieb unter „einem Dach“, konnte sich der Eigentümer der Infrastruktur von der Infrastruktur „lösen“, indem er diese als „belastetes Grundstück“ verkaufte, d. h. mit der Verpflichtung als laufende Eisenbahn an ein anderes Eisenbahnunternehmen veräußerte, wobei in den ehemals preußischen Landesteilen nach dem dort teilweise fortgeltenden „Bahneinheitengesetz“1 die Genehmigung der Aufsichtsbehörde gehörte.
Wollte man sich zur Zeit der Geltung des Bundesbahngesetzes2 der auf dieser konzessionierten Strecke liegenden Betriebspflicht entledigen, so war dazu ein – fälschlicherweise so genanntes – „Stilllegungsverfahren“ nach § 12, Absatz 1, Nr. 10, § 14 Abs. 2, Buchst. d, § 44, Buchst. a Bundesbahngesetz vonnöten.
Dieses sog. „Stillegungsverfahren“ war nie ein Stillegungsgebot im Sinne eines Verbotes, weiter auf der Strecke Eisenbahnbetrieb zu betreiben. Vielmehr hatte diese Genehmigung des Bundesverkehrsministeriums richtiger gesehen lediglich die Entbindung von der Betriebspflicht zum Gegenstand mit der weiteren Folge, dass nach dieser Genehmigung nach freier unternehmerischer Entscheidung auf der Strecke gefahren oder auch der Betrieb eingestellt werden konnte.

Zu Zeiten der reinen Staatsbahn – d. h. bis zum Entstehen der Deutschen Bundsbahn in der Bundesrepublik und während der Zeit der „Deutschen Reichsbahn“ in der DDR – waren diese Änderungen noch einfacher durchzuführen.

Mit der Aufteilung in Infrastruktur und Verkehrsunternehmen einerseits und der Privatisierung dieser beiden Strukturen andererseits entsteht nunmehr eine Reihe von Fallvarianten, welche der Gesetzgeber offensichtlich in seinen Regelungen und hinsichtlich der Auswirkungen nicht bedacht hat. Für diese Fälle gilt es, im Rahmen der rechtlich zulässigen Auslegungsmethoden systemkonforme Lösungen zu finden.

Problemfälle
Fall 1:

Der Eigentümer und Betreiber einer Infrastruktur stellt vor über 10 Jahren fest, dass kein Verkehrsbedürfnis mehr für den Güter – und / oder Personenverkehr auf seiner Strecke besteht.
Zeitgleich stellt er einen Antrag nach § 11 AEG, welcher ihm durch Fristablauf seitens der Aufsichtsbehörde genehmigt wird.
Im zeitlichen Zusammenhang damit überträgt er die „Verwaltung“ dieser Strecke seiner konzerneigenen Grundstücksgesellschaft, welche kein EIU ist.
Diese „Grundstücksgesellschaft“ tritt nach außen als bevollmächtigter Vertreter auf.

Kurze Zeit später vermietet3 diese Grundstücksgesellschaft diese Strecke mit der Bezeichnung “Hauptzweck: Eisenbahnbetrieb“ an ein anderes Eisenbahninfrastrukturunternehmen, welches als „Pächter“ von der zuständigern Aufsichtsbehörde die Genehmigung nach § 6 AEG als Infrastrukturbetreiber für diese Strecke erhält.
Zugleich beginnt zunächst ein, in der Folge eine Mehrzahl von Eisenbahnverkehrsunternehmen im Benehmen mit diesem Infrastrukturunternehmen, die Strecke im Touristik – und im Güterverkehr wieder zu befahren.
Während der letzten Jahre zeigt sich auf der Strecke durch vereinte Bemühungen des Eisenbahninfrastrukturunternehmens und der Eisenbahnverkehrsunternehmen ein ständig steigendes Verkehrsbedürfnis sowohl im Touristik – und als auch im Güterverkehr.

Die Grundstücksgesellschaft weigert nunmehr nach mehrmaliger Verlängerung des „Pachtvertrages“ die weitere Verlängerung dieses Vertrages.
Der Grund dafür ist, dass an der Strecke belegene Gemeinden Teile der Strecke aufkaufen und diese stilllegen möchten, um die jetzige Strecke kreuzende Straßenbauvorhaben ohne Bindung an das Eisenbahnkreuzungsgesetz durchzusetzen.

Bei Verhandlung über die Verlängerung des Pachtvertrages mit dem EIU bzw. EVU und mit an der Strecke belegenen Kommunen, welche die Strecke als Grundstücke zur teilweise Verwendung als Straßenland erwerben wollen, argumentiert der Eigentümer und ursprüngliche Eisenbahninfrastrukturbetreiber nunmehr, es sei die Grundstücksgesellschaft zuständig und es existiere überhaupt keine Eisenbahnstrecke mehr.
Wegen der Wirkung des § - 11 – AEG – Beschlusses handele es sich nicht mehr um eine Eisenbahnstrecke, sondern nur noch um eine Reihe von Grundstücken.

Hieraus ergeben sich mehrere Fragenkomplexe:
Welche rechtliche Bedeutung hat die Übertragung der „Verwaltung“ an eine Grundstücksgesellschaft?
Welche Rechtsqualität besitzt die damalige Entscheidung nach § 11 AEG heute?
Welche rechtliche Reichweite hat diese Entscheidung heute?
Steht die ehemals getroffene Entscheidung nach § 11 AEG eventuell der erfolgreichen Geltendmachung eines Netzzugangsanspruches entgegen?

Eine Entwidmung oder eine „Entplanfeststellung“ hat zwischenzeitlich nicht stattgefunden.

Fall 2:
Der ursprüngliche Eisenbahninfrastrukturbetreiber und bisherige Verpächter der Strecke (über die bevollmächtigte Grundstücksgesellschaft) verlängert den Pachtvertrag mit dem bisherigen Pächter und Eisenbahninfrastrukturunternehmer nicht. Damit entsteht hinsichtlich der Strecke ein vertragsloser Zustand.
Wer ist in diesem Zustand Eisenbahninfrastrukturunternehmer?
Hat ein EVU in dieser Situation einen Netzzugangsanspruch zu dieser
Eisenbahninfrastruktur?
Wo ist dieser Netzzugangsanspruch geltend zu machen, gegen wen richtet sich bejahendenfalls dieser Netzzuganganspruch und wie ist dieser Anspruch im einzelnen auszugestalten?

Eine Entwidmung oder eine „Entplanfeststellung“ hat nicht stattgefunden.

Fall 3:
Der „ursprüngliche“ Eisenbahninfrastrukturbetreiber und Verpächter verkauft über die bevollmächtigte Grundstücksgesellschaft die Grundstücke, auf welchen die Strecke liegt, aufgeteilt nach ihrer jeweiligen Belegenheit an die Gemeinden, welche an der Strecke liegen.
Diese erwerben die Grundstücke im Zustand der weiter bestehenden eisenbahnrechtlichen Planfeststellung und Widmung.
Eine Entwidmung oder eine „Entplanfeststellung“ hat vor dieser Veräußerung nicht stattgefunden.

Lösung des Falls 1:
Zunächst ist festzuhalten, dass die Übertragung der „Verwaltung“ an eine Grundstücksgesellschaft keinen Einfluss auf den eisenbahnrechtlichen Bestand der Strecke hat.
Falls die vom Eigentümer – und zugleich bisherigem EIU – beauftragte Grundstücksgesellschaft sich nicht EIU – konform verhält, ist es durchaus eine Überlegung, die für dieses ehemalige EIU zuständige Aufsichtsbehörde einzuschalten. Die privatrechtliche Übertragung einer Eisenbahninfrastruktur entbindet den Eigentümer – und auch den ehemaligen EIU – nicht von der Pflicht, sich so zu verhalten, dass noch eine „Betreibung“ als Eisenbahninfrastruktur möglich ist.

Unbestritten ist weiter, dass eine Entscheidung nach § 11 AEG keinen Einfluss auf Planfeststellung oder Widmung der Eisenbahnanlage hat.

Der Bescheid nach § 11 AEG ist auch keinesfalls ein „Stillegungsbefehl“ oder ein Verbot der Befahrung dieser Infrastruktur. Er entbindet den Eisenbahninfrastrukturbetreiber lediglich von der Verpflichtung, die Eisenbahninfrastruktur in einem nach § 4 Abs. 1 AEG sicheren Zustand zu halten.
Das bedeutet, dass der Eisenbahninfrastrukturinhaber noch eine eventuell geraume Zeit, nämlich solange noch die Sicherheit nach § 4 AEG auf der Anlage gewährleistet ist, Eisenbahnverkehr zulassen kann. Da Eisenbahnanlagen typisch – soweit sie nicht schon vorher „bis an den Rand gefahren wurden“ – eine gewisse technische Sicherheitsreserve aufweisen, kann dieses noch lange Zeit der Fall sein.
Es spricht durchaus nichts dagegen, dass der Pächter oder ein Dritter gewisse Maßnahmen an der Strecke wahrnimmt, um die Betriebssicherheit zu gewährleisten.
Diese Überlegungen sind aber nicht das Problem.
Entscheidungsgrundlage für den Verwaltungsakt nach § 11 AEG war vielmehr, dass zum Zeitpunkt des Ergehens der Entscheidung „der Betrieb der Infrastruktureinrichtung nicht mehr zugemutet werden kann und Verhandlungen mit Dritten, denen ein Angebot für die Übernahme der Infrastruktureinrichtung zu in diesem Bereich üblichen Bedingungen gemacht wurde, erfolglos geblieben sind“.
Zum Zeitpunkt der Entscheidung nach § 11 AEG durch die Aufsichtsbehörde mag das richtig gewesen sein.
Im Zeitpunkt seines Erlasses war der Verwaltungsakt mithin rechtens. Er wurde innerhalb der Rechtsmittelfrist nicht angefochten und ist rechtskräftig geworden.
Wie ist der Fortbestand dieses Verwaltungsaktes aber zu beurteilen, wenn der Zeitablauf – wie im geschilderten Fall – aufweist, dass die Verhältnisse sich zwischenzeitlich geändert haben und die Tatumstände, von denen Antragsteller und entscheidende Behörde zum Zeitpunkt der Entscheidung – damals richtigerweise - ausgingen, sich nachhaltig und entscheidungserheblich geändert haben, sodass aus heutiger Sicht diese Entscheidung nicht mehr so ergehen könnte ?

Zunächst ist festzustellen, dass es rechtlich verfehlt ist, auf den alten Bescheid zurückzugreifen, da dieser von vollkommen anderen Voraussetzungen ausging und wegen des in der Zwischenzeit sich entwickelt habenden Verkehrsbedürfnisses gegenstandslos, wenn nicht falsch geworden ist.
Dieser frühere, unter anderen Umständen ergangene Bescheid entwickelt bei einer solchen Änderung der Umstände keine Dauerwirkung.
Man spricht in diesen Fällen davon, dass dieser Verwaltungsakt „obsolet“ geworden ist. Das bedeutet, dass ein Rechtsakt oder auch eine gesetzliche Regelung zwar formal noch in Kraft ist, aber wegen veränderter Umstände nicht mehr beachtet zu werden braucht.

Hier tritt ein Konflikt zwischen zwei rechtlichen Grundsätzen zutage:

Einmal handelt es sich um den Grundsatz der formalen Rechtssicherheit. Der damalige Verwaltungsakt ist zu seiner Zeit „rechtsrichtig“ ergangen, nicht angefochten worden und mithin rechtskräftig geworden.

Andererseits wird aus der bisherigen Darstellung klar, dass der Verwaltungsakt heute nicht mehr der „Gerechtigkeit“ entspricht, da er heute aufgrund der veränderten Umstände nicht mehr so ergehen dürfte.

Es muss also eine Möglichkeit geben, diese formale „Bestandskraft“ des heute nicht mehr als richtig anzusehenden, aber noch „in der Welt befindlichen“ Verwaltungsaktes zu durchbrechen.

Diese Möglichkeit schafft § 51 Abs. 1 Nr. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz. Danach hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach – oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat.
Dabei handelt es sich um eine Ermessensentscheidung der Behörde. Antragsberechtigt ist ein Betroffener. Dies können, wenn ihnen die ehemalige Entscheidung nach § 11 AEG entgegengehalten wird, sowohl das die Strecke befahrende EVU als auch das derzeitige EIU sein, daneben aber auch der Verpächter und Eigentümer der Strecke.
Damit kann die damalige Entscheidung wegen Änderung der Sachlage aufgehoben werden.

Da die damals getroffene Entscheidung heute nur noch formal „in der Welt ist“, aber keine Rechtswirkung mehr entfaltet, hat die damalige Entscheidung keinen Einfluss auf einen eventuell bestehenden Netzzugangsanspruch.

Lösung des Falls 2:
Vorsaussetzung eines Netzzugangsanspruches, wie er in §§ 14 – 14 f AEG geregelt ist, ist, dass er seitens eines Zugangsberechtigten (§ 14 Abs. 2 AEG) gegenüber einem Eisenbahninfrastrukturunternehmer (§ 14 Abs. 1 AEG) geltend gemacht wird.
Fraglos möchte hier eine Mehrzahl von EVU`en weiter Verkehr auf der Strecke betreiben.
Fraglich ist aber, ob nach der Nichtverlängerung des Pachtvertrages ein „Gegner“, d. h. ein Eisenbahninfrastrukturunternehmer im Sinne des § 14 Abs. 1 AEG vorhanden ist.
Der damalige Pächter und Eisenbahninfrastrukturunternehmer kann dies – vorbehaltlich der Nichtverlängerung des Pachtvertrages - nicht sein. Seine EIU – Eigenschaft leitete sich für diese Eisenbahninfrastruktur einmal aus dem Pachtvertrag, mit dem er die zivilrechtliche Herrschaft über die Strecke in dem Maße erlangte, wie es für eine EIU – Tätigkeit erforderlich ist – Sachherrschaft im erforderlichen Umfang – und zweitens aus öffentlichem Recht, nämlich aus der aufsichtsbehördlichen Genehmigung nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 AEG her.
Mit dem Entfallen eines Pachtvertrages endet nach bisheriger Auffassung die Möglichkeit der rechtmäßigen Besitzausübung über die Eisenbahninfrastruktur und damit auch die – streckenbezogen – erteilte Genehmigung nach § 6 AEG als Eisenbahninfrastrukturbetreiber.

Die im Auftrag und in Vollmacht des Eigentümers und ursprünglichen EIU handelnde Grundstücksgesellschaft kann nicht als „Auffang“ – EIU auftreten, da sie keine Genehmigung nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 AEG hat.
Die Frage ist, ob nach Auslaufen des privatrechtlichen Pachtvertrages die „alte“ Eigenschaft des Eigentümers als Eisenbahninfrastrukturunternehmer in irgendeiner Form – sozusagen im „Rückfall“ - wieder auflebt, eventuell auch gegen den Willen dieses Eigentümers.

Dieser Fall ist zunächst aus der bestehenden Gesetzeslage nicht zu lösen.
Gegner eines Netzzugangsanspruches ist nach § 14 Abs. 1 AEG immer nur der Eisenbahninfrastrukturunternehmer für die Strecke.
Der Gesetzgeber vertritt mit diesem Verweis auf einen „mitwirkungsbedürftigen Tatbestand“, nämlich die Antragstellung nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 AEG, die These, dass jeder Eigentümer einer Eisenbahninfrastruktur aus Interesse an den Trassenentgelten zugleich auch Eisenbahninfrastrukturbetreiber werden wolle und dazu den erforderlichen Antrag für die betreffende Infrastruktur stelle.
Diese These geht von einer „Freiwilligkeit“ eines Eigentümers aus, eine Eisenbahninfrastruktur zu betreiben und zu unterhalten. Diese „Freiwilligkeit“ äußert sich darin, dass der Interessent einen Antrag nach § 6 AEG stellen muss.
Es gibt aber – wie oben dargestellt – auch Fallkonstellationen, in denen diese „Freiwilligkeit“ nicht besteht.
Sollte in diesen Fällen das Ergebnis, dass dann kein Netzzugangsanspruch geltend gemacht werden könne, abschließend sein?

Wenn eine gesetzliche Regelung keine Lösung für einen speziellen Fall anbietet, so gibt es zwei mögliche Folgerungen:
Entweder hat der Gesetzgeber diese Lücke bewusst gelassen, weil er diesen Fall nicht regeln wollte oder es liegt eine unbeabsichtigte Lücke vor, welche nach allgemeinen Grundsätzen der „Lückenfüllung“ durch Richterrecht4 auszufüllen ist.
Im hier zu besprechenden Fall ist aus folgenden Gründen nicht von einer „bewussten Lücke“ auszugehen:
Aus den gesamten Materialien zum Entstehen der eisenbahnrechtlichen Neuordnung und insbesondere des AEG ist ersichtlich, dass das Gesetz, wie überhaupt die gesamte Neuordnung des Eisenbahnrechtes durch die „Neuordnungsgesetzgebung“ der Jahreswende 1993 / 1994, unter erheblichem Zeitdruck fertiggestellt werden musste und wesentliche Punkte, wie z. B. die Existenz von nichtöffentlichen Eisenbahnen des Bundes oder die Aufsicht über Eisenbahnanlagen an Bord von Fährschiffen deutscher Reedereien, bis heute nicht gesehen, nicht nachgebessert und auch nicht bearbeitet wurden.
Für diese These sprechen weiterhin die bisher zwölf Änderungen des AEG, welche seit seinem Inkrafttreten am 1. 1. 1994 durchgeführt wurden.
In diesem Zusammenhang ist auch die Neuigkeit in der rechtlichen Konstruktion des Zugangsrechtes zu einer öffentlichen Infrastruktur über Vertrag nach § 14 AEG zu nennen. Diese Konstruktion widerspricht sämtlichen bisher getroffenen Zugangsregelungen zu öffentlichen Infrastrukturen, welche im deutschen Verwaltungsrecht für z. B. Straßen, Flüsse oder Luftraum immer über den öffentlich – rechtlich beherrschten Begriff des „Gemeingebrauchs“ geprägt wurden.
Diese Liste der Bedenken eröffnet für die oben geschilderte Fallkonstellation die Zulässigkeit einer Füllung einer offensichtlich durch den Gesetzgeber unbeabsichtigt gelassenen Lücke im Gesetz durch die Aufsichtsbehörde oder – anschließend – den Richter.

Die Besonderheit des Eigentums an einer planfestgestellten und gewidmeten Eisenbahninfrastruktur ist, dass dieses Eigentum nicht „schrankenlos“ im Sinne des § 903 Satz 1 BGB5 zur Verfügung des Eigentümers steht.
Dieses Eigentum ist nicht „kapitalistisch“ frei, sondern trägt gleichsam eine „öffentlich – rechtliche Last“, deren Zweckbestimmung und Umfang sich aus der Planfeststellung, insbesondere aber aus der Widmung ergeben.
Mithin kann der Eigentümer mit diesem Eigentum nicht „nach Belieben verfahren“.
Dass diese „Last“ auf diesem Eigentum liegt, ergibt sich aus folgenden Bestimmungen:

Zunächst ist auf Art. 87 e Abs. 4 Grundgesetz (GG) zu verweisen6. Danach ist diese Infrastruktur mit einem „Gemeinwohlauftrag“ belastet, welcher zumindest im Bereich dieser Infrastruktur nach Vorstellung des Gesetzgebers „gesellschaftsrechtliche Einflussnahme“ zulässt. „Der Gang der Gesetzgebung zeigt deutlich, dass die in der Verfassung“ – gemeint ist Art. 87 e Abs. 4 GG – „festgeschriebene Mehrheit an der Fahrwegsgesellschaft nicht dazu dient, die Staatseinnahmen durch eventuelle Aktiengewinne zu mehren7. Sie beabsichtigte nicht, dem Staat lukrative Einnahmequellen zu verschaffen, sondern zielt eindeutig auf eine stärkere Einflussnahme des Bundes8, die man mit den Mitteln des Wirtschafts – und Wirtschaftsverwaltungsrechtes allein nicht zu erreichen glaubte“9.

Ein weiteres Zeichen für das Bestehen dieser „Last“ ist die Privilegierung dieser Anlagen im Rahmen der „Fachplanung“ nach § 38 Baugesetzbuch und damit die Einräumung einer Vorrangstellung gegenüber der gemeindlichen Bauplanungshoheit. Auch für die Aufhebung dieser Privilegierung ist die Entwidmung unter Vorbehalt der Nichtexistenz eines Verkehrsbedürfnisses Voraussetzung.

Ein deutliches weiteres Zeichen für den „Staatsvorbehalt“ gegenüber dem „schlichten“ Eigentum ist die Existenz des § 11 AEG und dessen Intensivierung in der letzten AEG – Novelle (nicht mehr „deutliche Verringerung der Kapazität“, sondern „mehr als geringfügige Verringerung der Kapazität.“). Diese Interventionsmöglichkeit des Staates gegenüber dem Eigentümer und Eisenbahninfrastrukturunternehmer10 zeigt eindeutig die Überlagerung des wirtschaftlichen Interesses des Unternehmens durch die staatlichen Gemeinwohlinteressen zu Lasten des Eigentümers.

Schließlich ist auch die Existenz der neuerlich geregelten11 Entwidmung in § 23 AEG eine notwendige Konsequenz eines staatlichen Vorbehaltes gegenüber der Theorie von der freien Verfügungsbefugnis des Eigentümers einer planfestgestellten und gewidmeten Eisenbahninfrastruktur.

Von dieser „Last“ kann sich der Eigentümer allein durch die Entwidmung und die Entplanfeststellung befreien, wobei für beide Akte das „Nichtmehrbestehen eines Verkehrsbedürfnisses“ Voraussetzung ist.
Diese Entwidmung im eisenbahnrechtlichen Bereich ist nunmehr – missverständlich – in § 23 AEG geregelt.

Wie oben bereits dargestellt, wurde der Charakter als planfestgestellte und gewidmete Eisenbahnstrecke des öffentlichen Verkehrs nicht durch weitere andere Rechtsakte zerstört oder aufgehoben.
In der Literatur ist streitig, ob dazu nicht auch eine „Entplanfeststellung“ oder lediglich eine „Entwidmung“ erforderlich ist.

Eine ausdrückliche „Entplanfeststellung“ als Voraussetzung des Entfalles des Fachplanungsvorbehaltes (Befreiung nach § 38 BauGB) wird für Eisenbahninfrastrukturen in der Praxis nicht durchgeführt12, aber aus dogmatischen Gründen für notwendig gehalten.
Die in der aktuellen Fassung des AEG nunmehr geregelte „Freistellung von Bahnbetriebszwecken“ lässt offen, ob damit lediglich die „Rücknahme der Inbetriebnahme“ oder auch die „Entplanfeststellung“ ausgesprochen ist13.

Zusammenfassend kann daher als Zwischenergebnis festgehalten werden, dass selbst gegen den Willen des Eigentümers einer Eisenbahninfrastruktur diese ohne Entwidmung und Entplanfeststellung rechtlich erhalten bleibt.
Daraus ergibt sich die nächste Frage, wer Eisenbahninfrastrukturbetreiber ist und gegen wen ein eventueller Netzzugangsanspruch zu richten ist.

Ein Staat würde sich lächerlich machen, wenn er es duldete, dass seine gesetzgeberisch eindeutig ausgesprochenen Positionen durch eine Privatrechtsgestaltung – hier Nichterneuerung eines Pachtvertrages – oder eine unterlassene Antragstellung – hier nach § 6 AEG wieder EIU zu werden – unterlaufen werden könnte.
In Ergänzung zum Gesetz und zur Schließung der hier offensichtlich bestehenden Gesetzeslücke muss der Staat – hier die für den Eigentümer zuständige Eisenbahnaufsichtsbehörde – die Rechtsmacht besitzen, die erforderlichen Maßnahmen zur Abwendung dieses Zustandes zu treffen.

Die oben aufgezeigte Last hat während ihres Bestehens zur Folge, dass die „Freiwilligkeit“ und freie Willensbestimmung des Eigentümers, wie sie in § 903 BGB als Ausprägung römisch – rechtlichen Eigentumsdenkens angedeutet ist, eingeschränkt ist.
Das – anerkanntermaßen – missglückte Vertragssystem des Zuganges zur Eisenbahninfrastruktur in §§ 14 ff AEG stellt aber nur auf die Freiwilligkeit des Eisenbahninfrastruktureigentümers ab, welcher für jede in seinem Eigentum stehende Infrastruktur einen Antrag nach § 6 AEG stellen muss.
Offenbar ging man bei der Gesetzgebung davon aus, dass es natürliches Verhalten des Eigentümers einer Eisenbahninfrastruktur sei, in jedem Fall eine Zulassung nach § 6 AEG zu beantragen, um in den Genuss von Trassenentgelten zu kommen.
Für den Fall des „unwilligen“ Eigentümers einer Eisenbahninfrastruktur, welcher nach „Rückfall“ der Eisenbahninfrastruktur an ihn nach Beendigung eines Pachtvertrages keinen Antrag nach § 6 AEG stellt, u. U. in Erwartung einer vorgeblich kommerziell günstigeren Veräußerung an einen anderen Eigentümer im Wege des freien Grundstücksverkaufs, hat das Gesetz keine ausdrückliche Lösung.

In diesen Fällen ist entweder – hoheitsrechtliche Lösung – die zuständige Aufsichtsbehörde ohne Antrag des Eigentümers imstande, allein aufgrund der Widmung den Eigentümer der Eisenbahninfrastruktur ohne sein weiteres Zutun – Antragstellung - zum Eisenbahninfrastrukturunternehmer zu erklären oder allein aufgrund der weiterbestehenden Widmung einem Netzzugangsantrag eines EVU gegen den Eigentümer zu entsprechen.
In diesem Sinne ist § 14 c Abs. 1 AEG lückenschließend zu erweitern. Diese Bestimmung muss nicht nur Anwendung finden gegenüber „öffentlichen Eisenbahninfrastrukturunternehmen“, sondern auch gegenüber „Eigentümern von Eisenbahninfrastrukturen“, falls diese nicht nach Aufforderung und Fristsetzung einen Antrag nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 AEG stellen.

Angesichts der weitgehenden Eingriffsrechte der Aufsichtsbehörden in die Privatrechtsautonomie zwischen EVU und EIU (§ 14 c AEG, § 4 Abs. 4 und 5 EIBV; § 18 Abs. 4 EIBV; § 22 EIBV) gibt es im Rahmen des notwendigen Lückenschlusses zudem – zivilrechtliche Lösung – die Möglichkeit, dass die zuständige Aufsichtsbehörde einen bisher gegolten habenden Pachtvertrag – zumindest für eine begrenzte Zeit, um die Ziele des § 14 c Abs. 1 AEG zu erreichen - verlängern kann.
Das Argument der unzulässigen Vermischung des öffentlichen mit privatem Rechts ist hier nicht durchschlagend, da bereits hinsichtlich der verfassungsmäßigen Zuständigkeit des Gesetzgebers für die verschiedenen Eisenbahnsysteme eigentumsrechtliche Fragen entscheidend sind ( Art. 73 Nr. 6a und Art. 74 Nr. 23 GG).

Bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit sollte das AEG in diesem Sinne erweitert werden.

Lösung des Falls 3:
Der Bestand als planfestgestellte und gewidmete Eisenbahnanlage ist unabhängig von dem jeweiligen Eigentümer oder einem Eigentümerwechsel.
Bei einem Eigentümerwechsel einer solchen Eisenbahnanlage sind allerdings zu beachten das o. a. Bahneinheitengesetzes und die Folgen des § 3 des „Gesetzes über den Bundesgrenzschutz“ – u. U. verbunden mit einem Zuständigkeitswechsel im Sinne eines Entfallens der Zuständigkeit des Bundesgrenzschutzes.

Als Folge eines solchen Eigentümerwechsels ist aber darauf hinzuweisen, dass der künftige Erwerber voll in die Rechtssituation des „belasteten“ Eisenbahninfrastrukturbetreibers eintritt.

Dies bedeutet, dass der Erwerber einen Antrag nach § 6 AEG zu stellen hat, um die Voraussetzungen zur Trägerschaft für eine Eisenbahninfrastruktur nachzuweisen. Für den Fall des Erwerbs durch Kommunen oder sonstige öffentlichen Träger ist darauf hinzuweisen, dass nach § 4 der „Eisenbahnunternehmer – Berufszugangsverordnung“ der Nachweis der Zuverlässigkeit und der finanziellen Leistungsfähigkeit zwar entfällt.
Daneben ist es aber nach § 1 „Verordnung über die Bestellung und Bestätigung sowie die Aufgaben und Befugnisse von Betriebsleitern für Eisenbahnen (EBV)“ unausweichlich, dass die Gemeinde einen nach EBV geprüften Betriebsleiter bestellt, eine Dienstordnung erlässt und den Betriebsleiter mit den notwendigen Kompetenzen ausstattet (§§ 4 und 5 EBV).

Daneben sind die Kommunen gezwungen, organisationsrechtliche Vorsorge für die Wahrnehmung dieser Eisenbahnunternehmerschaft zu treffen, sei es in der Form behördlicher Strukturen, selbständiger öffentlich – rechtlicher Formen wie z. B. Zweckverband, Stiftung, Anstalt oder Körperschaft öffentlichen Rechts oder in der Form handelsrechtlicher Strukturen, für welche es aber aus kommunalhaushaltsrechtlichen Gründen Einschränkungen gibt.

Weiterhin hat die Gemeinde sodann nach § 4 der „Verordnung über den diskriminierungsfreien Zugang zur Eisenbahninfrastruktur und über die Grundsätze zur Erhebung von Entgelt für die Benutzung der Eisenbahninfrastruktur – (EIBV)“ „Schienennetzbenutzungsbedingungen“ einschließlich der notwendigen Entgeltlisten zu erstellen und entsprechend zu veröffentlichen.

Erfüllt sie diese Aufgaben nicht, kommt es zu dem oben geschilderten Einschreiten der Eisenbahnaufsichtsbehörden.

Zusammenfassung:
Die Belastung des Eigentums an einer Eisenbahnanlage mit dem „öffentlichen Interesse“ an einer „laufenden“, d. h. befahrenen Eisenbahninfrastruktur und dem damit im Zusammenhang stehenden Netzzugangsanspruch lässt es nicht zu, dass in der Bundesrepublik „zugangsfreie“ Eisenbahninfrastrukturen eines „unwilligen“ Eigentümers einer Eisenbahninfrastruktur entstehen und existieren.
In zulässiger Ausfüllung von Gesetzeslücken sind daher in diesen Fällen durch die Aufsichtsbehörden öffentlich – rechtliche Maßnahmen – Zuweisung aufgrund der Widmung – oder vertragsersetzende Maßnahmen – Verlängerung des Pachtvertrages – zulässig und geboten.
 


1 v. 19. August 1895 – Pr. GS S. 499, in der Fassung der Bekanntmachung v. 8. Juli 1902 – Pr. GS S. 237; abgedruckt bei Kunz, „Eisenbahnrecht“, Abteilung A 4.6 mit Kommentierung von Kunz
2 v. 13. Dezember 1951, ursprünglich BGBl. 1951, I, S. 955, danach bis zur Außerkraftsetzung 12 Änderungen
3 die Bezeichnung „Mietvertrag“ ist falsch, da der „Mieter“ in diesem Fall das Fruchtziehungsrecht hat; richtiger wäre daher die Bezeichnung „Pachtvertrag“ bzw. „Verpächter“ oder „Pächtert“; diese Begriffe werden in den folgenden Ausführungen verwendet
4 vgl. dazu Coing bei Staudinger, „Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch ....“, Einleitung, Teil VI, Randnummern 121 - 122
5 Wortlaut: „Der Eigentümer kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen“.
6 vgl. dazu Delbanco in „Eisenbahnrecht und Bahnreform“, Christoph Roland Foos (Hrsg.), 3. Auflage, 2003, Verlag C. R. Foos, S. 31
7 Hervorhebung vom Verfasser
8 Hervorhebung vom Verfasser
9 s. Delbanco a. a. O., S. 35 mit Verweis auf BT – Drucksachen sowie Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses; Text: (s. BT Drucksache 12/5015 vom Mai 1993 und BT Drucksache 12/6280 vom November 1993). Danach
„muss der Bund weiterhin die volle Verantwortung für die Schieneninfrastruktur der Eisenbahnen des Bundes tragen.“.... „ Dieses bundesweite Infrastruktursystem ist von erheblicher gesamtwirtschaftlicher Bedeutung“..... „Vorhaltung und Ausbau des Schienennetzes sind als staatliche Aufgabe des Bundes unter Beachtung der Verkehrsbedürfnisse und des Wohls der Allgemeinheit zu erfüllen“..... „Art. 87 Absatz 4 GG ist die Sicherstellung einer politischen Verantwortung des Bundes für die Infrastruktur der Eisenbahnen des Bundes und dem Gemeinwohl dienende Verkehrsangebote der Eisenbahnen des Bundes“.
10 vgl. zur Entstehungsgeschichte die Darstellung der Amtlichen Begründung (BT – Drucksache 12/5014) bei Wittenberg / Heinrichs / Mittmann / Zwanziger, „Kommentar zum Allgemeinen Eisenbahngesetz“, 2004, § 11, Randnummern 1 – 3 sowie die Änderungsanträge – Randnummern 4 - 7
11 zur Begründung und zum vorherigen Zustand Kühlwetter, „Widmung und Entwidmung im öffentlichen Eisenbahnrecht – eine unbekannte Größe ?“ in „Festschrift für Willi Blümel zum 70. Geburtstag“, Schriften zum Öffentlichen Recht, Band 772, Duncker & Humblot, Berlin, 1998, S. 309 ff
12 vgl. Kramer, „Das Recht der Eisenbahninfrastruktur“, Boorberg, 2002, S. 175, 316 ff; derselbe in Kunz, „Eisenbahnrecht“, A 4.1, S. 162; Kühlwetter in Festschrift für Blümel, (s. o.), 1998, S. 309 ff, 331; Blümel, Diskussionsbeitrag in Blümel / Kühlwetter, „Aktuelle Probleme des Eisenbahnrechts II“, 1997, S. 207 ff).
13 zur Diskussion des Zustandes vor der Einfügung des heutigen § 23 AEG vgl. Korth Pereira Ferraz, „Widmung – Entwidmung – Mischnutzung oder die „Revitalisierung“ alter Empfangsgebäude und ihre planfeststellungsrechtliche Bewältigung“ in Blümel/Kühlwetter, „Aktuelle Probleme des Eisenbahnrechts“, 1996, S. 231, 243; Schmitz – Valckenberg, „Entwidmung und bahnfremde Nutzung von Bahnanlagen“, 2002, S. 35 ff m. w. N., S. 246